Anlageberatung

Anlageberatung ist nicht die Finanzdienstleistung mit dem besten Ruf. In Deutschland und Österreich vertrauen weniger als 50 % der Konsumenten darauf, daß die von Banken, Versicherern und sonstigen Finanzdienstleistern an sie erbrachte Anlageberatung in ihrem besten Interesse ist.[50] Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stellte bei Testkäufen teilweise gravierende Mängel in der Erbringung von Anlageberatung fest.[51] Erfahren Sie in diesem Abschnitt,

  • unter welchen Bedingungen eine Anlageberatung tatsächlich zustande kommt,
  • welche Verpflichtungen der Berater gegenüber dem Anleger hat und
  • wie gesetzliche Vertreter im wirtschaftlichen Interesse schutzberechtigter Personen bei einer Anlageberatung vorgehen sollten.

Was gesetzliche Vertreter wissen sollten:

  • Eine Anlageberatung für Mündelgeld liegt nur dann vor, wenn an den gesetzlichen Vertreter eine persönliche Empfehlung abgegeben wird, die folgende Eigenschaften aufweist:
    1. Die Empfehlung ist auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Mündels gestützt oder wird als für das Mündel geeignet dargestellt.
    2. Die Empfehlung bezieht sich auf ein bestimmtes Finanzinstrument.
    3. Die Empfehlung zielt darauf ab, daß der gesetzliche Vertreter dieses Finanzinstrument erwirbt oder veräußert.
  • Der Berater darf dem gesetzlichen Vertreter nur Finanzinstrumente empfehlen, die für das Mündel geeignet sind. Anlageberater haben daher dem gesetzlichen Vertreter eine Eignungserklärung zu übermitteln, in der begründet wird, weshalb die abgegebene Empfehlung für das Mündel geeignet ist. Die Verpflichtung zur Übermittlung einer Eignungserklärung besteht unabhängig vom Abschluss eines Ausführungsgeschäfts; es wäre also unzulässig, wenn der Berater dem gesetzlichen Vertreter die Eignungserklärung nur unter der Bedingung übermitteln würde, daß dieser mit ihm das Ausführungsgeschäft abschließt.
  • In Österreich und auch in Deutschland wird Anlageberatung fast ausschließlich in Form von Provisionsberatung erbracht. In einigen anderen Staaten ist diese Form der Anlageberatung wegen der dabei bestehenden Interessenkonflikte gesetzlich verboten.

Voraussetzungen für das Vorliegen einer Anlageberatung: Wichtige Details!

  • Eine Empfehlung ist dann nicht persönlich, wenn sie an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet ist; wenn Ratschläge also z.B. über Informationsverbreitungskanäle wie das Internet oder in Zeitungen bekannt gegeben werden, stellt dies keine Anlageberatung dar.
  • Bei der Beurteilung, ob die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Mündels gestützt ist, kommt es nicht darauf an, ob eine solche Prüfung vom Berater tatsächlich durchgeführt wurde. Ausschlaggebend ist dabei vielmehr, ob gegenüber dem gesetzlichen Vertreter der Eindruck einer solchen Prüfung erweckt wird und dieser daher davon ausgehen darf, daß bei der Empfehlung die persönlichen – insbes. finanziellen – Umstände des Mündels berücksichtigt wurden.[52] Unter solchen Umständen sind etwaige Haftungsausschlüsse oder vergleichbare Erklärungen des Wertpapierdienstleisters (z.B. „dieses Angebot ist keine Anlageberatung“) insofern unwirksam, als sie das Vorliegen einer Anlageberatung nicht ausschließen.[53]
  • Hinreichend bestimmt ist ein Finanzinstrument dann, wenn es eindeutig identifizierbar ist, etwa durch seine Identifikationsnummer (z.B. AT0000743059) oder durch den Namen des Emittenten (z.B. OMV-Aktien). Bestimmtheit liegt auch dann vor, wenn der Kunde aus mehreren konkreten Empfehlungen auswählen kann. Eine bloße Empfehlung gewisser Anlageformen (z.B. „Bundesanleihen“ oder „Aktienfonds“) ist hingegen nicht hinreichend bestimmt und stellt daher keine Anlageberatung dar.
  • Für das Zustandekommen eines Anlageberatungsvertrags ist unerheblich,
    • ob die Empfehlung auf Initiative des gesetzlichen Vertreters oder des Wertpapierdienstleisters erbracht wird und
    • ob die Empfehlung durch den gesetzlichen Vertreter tatsächlich umgesetzt wird.

Beratung gegen Provision oder gegen Honorar: ein bedeutender Unterschied!

Nach Art der Vergütung können folgende Formen der Anlageberatung unterschieden werden:

  1. Nicht-unabhängige Anlageberatung, die im Folgenden als Provisionsberatung bezeichnet wird.
  2. Unabhängige Anlageberatung, die im Folgenden als Honorarberatung bezeichnet wird.

In Österreich und in Deutschland ist Provisionsberatung die vorherrschende Form von Anlageberatung. In einigen anderen Staaten (insbes. Großbritannien, Niederlande und Australien) ist Provisionsberatung aufgrund der immanenten Interessenkonflikte verboten und darf Anlageberatung für Kleinanleger nur in Form von Honorarberatung erbracht werden.

Provisionsberater: Bezahlung ausschließlich für Produktvermittlung!

Eine Provisionsberatung ist stets auf ein Anlageuniversum aus Finanzinstrumenten von Produktgebern (d.h. Produktanbietern und Emittenten) beschränkt, die mit dem Berater vertraglich vereinbart haben, ihm für eine erfolgreiche Vermittlung dieser Finanzinstrumente Provisionen zu bezahlen. Diese Provisionen werden dem Anleger vom Produktgeber verrechnet und an den Berater weitergeleitet. Der Provisionsberater erhält für seine Leistung ausschließlich diese Vermittlungsprovisionen; er wird also nicht für die Beratung bezahlt, sondern ausschließlich für die Produktvermittlung bzw. für das Ausführungsgeschäft – sofern ein solches in Folge der Beratung zustande kommt. Eine aus Sicht des Wertpapierdienstleisters erfolgreiche Provisionsberatung über Mündelgeld erfordert daher den Abschluss zweier Verträge mit dem gesetzlichen Vertreter, und zwar (1.) eines Beratungsvertrags und (2.) eines Vermittlungsvertrags.

In Abhängigkeit vom Verrechnungszeitpunkt können folgende Provisionen unterschieden werden:

  • Beim Kauf des Finanzinstruments wird dem Anleger als Vertriebsprovision ein sog. Ausgabeaufschlag verrechnet, der bei Investmentfonds rund 3,6 % der Anlagesumme beträgt.[54]
  • Zusätzlich verrechnet der Produktgeber dem Anleger bei Investmentfonds periodisch – meist monatlich – während der gesamten Laufzeit der Investition eine Vertriebsfolgeprovision, die als Bestandsprovision oder auch als „Kick-Back“ bezeichnet wird. Die Bestandsprovision ist in der Verwaltungsgebühr enthalten, die jährlich rund 1,1 % der Anlagesumme beträgt.[55]

Folgende Nachteile der Provisionsberatung sollten Anlegern bewusst sein:

  • Bei der Provisionsberatung besteht ein hohes Potential für Interessenkonflikte, zumal der Berater einerseits im bestmöglichen Interessen des Anlegers handeln soll, andererseits aber ein kommerzielles Interesse an der Empfehlung jener Produkte hat, für die er die höchsten Provisionen erhält.
  • Es mangelt der Provisionsberatung an Kostentransparenz, da für den Anleger kaum nachvollziehbar ist, was von den ihm verrechneten Aufschlägen und Gebühren jeweils Beratungs-, Vermittlungs- und Produktkosten sind.
  • Da die Provisionen von Produktgebern für das Ausführungsgeschäft und nicht für die Beratung bezahlt werden, erhalten Wertpapierdienstleister für ein Ausführungsgeschäft ohne Anlageberatung ebenso hohe Provisionen wie für ein Ausführungsgeschäft mit Anlageberatung. Das Provisionssystem schafft somit für Wertpapierdienstleister den Anreiz, die Erbringung von Anlageberatung zu vermeiden und stattdessen den Abschluss beratungsfreier Vermittlungsgeschäfte zu forcieren. Die Europäische Kommission hat folglich bereits legistische Maßnahmen angekündigt, um beratungsfreie Vermittlungsleistungen künftig mit einem Provisionsverbot zu belegen.[56]

Honorarberatung: Marktanteil in Österreich derzeit noch sehr gering

Honorarberatung wird ausschließlich aufgrund eines zwischen dem Berater und dem Kunden geschlossenen Beratungsvertrags erbracht und ist demnach unabhängig von einer Produktvermittlung. Das Entgelt für diese Form der Anlageberatung ist ein dem Berater direkt vom Kunden bezahltes Honorar und keine vom Kunden indirekt (nämlich durch Verrechnung seitens der Produktgeber) bezahlte Provision. Der Honoraranspruch des Beraters besteht auch im Falle der Empfehlung eines Haltens oder wenn das empfohlene Geschäft nicht ausgeführt wird. Honorarberater dürfen von Dritten keine Provisionen annehmen; ferner dürfen sie nicht ausschließlich Produkte anbieten, zu deren Anbietern oder Emittenten sie in einer wirtschaftlichen Beziehung stehen, die ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte. Aufgrund ihres in Österreich derzeit noch sehr geringen Marktanteils wird hier nicht näher auf die Honorarberatung eingegangen.

Praxistipp

Wenn gesetzliche Vertreter eine Anlageempfehlung erhalten und darauf Wert legen, daß der Wertpapierdienstleister für die Eignung dieser Empfehlung haftet, sollten sie im Interesse möglichst klarer Rechtsverhältnisse das Ausführungsgeschäft erst abschließen, nachdem sie eine ordnungsgemäße Eignungserklärung erhalten haben.

Hoffentlich erwies sich der Inhalt dieser Seite für Sie als nützlich und beantwortete möglichst viele Ihrer Fragen. Wenn Sie weitere Fragen über die Anlegung von Mündelgeld haben, steht Ihnen der Autor Mag. Alexander Giuliani dafür als Sachverständiger und unabhängiger Vermögensberater zur Verfügung.

[50] Flash Eurobarometer 525, Monitoring the level of financial literacy in the EU, March-April 2023.
[51] Deutsche Testkäufer erhielten in 40 % der Beratungsfälle keine Eignungserklärung und in 67 % der Fälle keine Kosteninformationen, obwohl beides gesetzlich vorgeschrieben ist; siehe: Felix Scherger, Mystery-Shopping: BaFin testet Anlageberatung, BaFin-Journal, 13.07.2023. Während Finanzmarktaufsichtsbehörden zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten in Rahmen sog. Mystery-Shopping-Aktionen Testkäufe durchführen, bestehen dafür in Österreich laut Auskunft der FMA rechtliche Hindernisse; siehe Mystery-Shopping: Aufseher testen Finanzberater, abgerufen am 22.05.2024.
[52] Seibt/Buck-Heeb/Harnos, WpHG § 64 Rn 8.
[53] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungssaufsicht, Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten – MaComp, BT 7.1.1 Nr. 5.
[54] Volumengewichteter Mittelwert der Ausgabeaufschläge österreichischer Investmentfonds laut Marktstudie der FMA aus dem Jahr 2023.
[55] Volumengewichteter Mittelwert der Verwaltungsgebühren österreichischer Investmentfonds laut Marktstudie der FMA aus dem Jahr 2023. Der Anteil der Bestandsprovision an der Verwaltungsgebühr wird in der zwischen dem Provisionsberater und dem Produktgeber geschlossenen Vertriebsvereinbarung festgelegt und ist dem Anleger daher beim Kauf des Produkts nicht bekannt.
[56] Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Mai 2023 zur Änderung von Richtlinien in Hinblick auf die Unionsvorschriften zum Schutz von Kleinanlegern, sog. EU Retail Investment Strategy.