Geeignetheit

Wertpapierdienstleister dürfen dem gesetzlichen Vertreter nur jene Finanzinstrumente bzw. Produkte empfehlen, die für das Mündel geeignet sind. Der Gesetzgeber verpflichtet Wertpapierdienstleister daher bei der Erbringung von Anlageberatung und von Vermögensverwaltung zu

  1. Durchführung einer Eignungsprüfung sowie zu
  2. Übermittlung einer schriftlichen Eignungserklärung an den gesetzlichen Vertreter, in der begründet wird, warum die abgegebene Empfehlung zu dem Mündel passt.

Die Geeignetheit von Anlageempfehlungen ist dem Gesetzgeber offensichtlich ein großes Anliegen, zumal ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung einer Eignungsprüfung und zur Übermittlung einer Eignungserklärung mit Verwaltungsstrafen von bis zu € 5 Millionen bedroht ist.[65]

Eignungsprüfung

Im Rahmen der Eignungsprüfung hat der Wertpapierdienstleister über das Mündel und den gesetzlichen Vertreter jene Informationen einzuholen, die erforderlich sind, um die für das Mündel geeigneten Finanzinstrumente bzw. Anlagestrategien zu bestimmen. Gegenstand der Verpflichtung zur Einholung von Informationen sind:

  • die finanziellen Verhältnisse des Mündels, wie insbes. Herkunft und Höhe des regelmäßigen Einkommens, Zusammensetzung des Vermögens und seine regelmäßigen finanziellen Verpflichtungen; aus diesen Informationen kann insbes. die Verlusttragfähigkeit des Mündels ermittelt werden, d.h. der maximale Verlust, den das Mündel verkraften kann, ohne die Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen zu gefährden;
  • die Anlageziele des Mündels, d.h. Ertragsziel, zeitlicher Anlagehorizont und subjektive Risikobereitschaft;
  • die Kenntnisse und Erfahrungen des gesetzlichen Vertreters im Anlagebereich, damit diesem nur Produkte empfohlen werden, deren Risiken er zu verstehen vermag.[66]

Der Wertpapierdienstleister hat anhand dieser Informationen zu beurteilen, welche Finanzinstrumente den Anlagezielen, der Risikobereitschaft und Verlusttragfähigkeit des Mündels entsprechen und so beschaffen sind, dass der gesetzliche Vertreter mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen die mit dem Geschäft einhergehenden Risiken verstehen kann.[67] Wenn der gesetzliche Vertreter eine Anlageberatung oder Vermögensverwaltung  für Mündelgeld erhalten möchte, sollte er dem Wertpapierdienstleister zum Zwecke der Eignungsbeurteilung die vorgenannten Auskünfte erteilen. Verweigert der gesetzliche Vertreter die zur Durchführung der Eignungsprüfung erforderlichen Auskünfte, darf der Wertpapierdienstleister keine Empfehlung an ihn abgeben.[68]

Eignungserklärung

  • Wertpapierdienstleister haben dem gesetzlichen Vertreter eine schriftliche Eignungserklärung zu übermitteln, welche die Eignungsprüfung zusammenfasst und begründet, warum die abgegebene Empfehlung zu dem Mündel passt.[69]
  • Die Eignungserklärung soll die Empfehlung für den gesetzlichen Vertreter nachvollziehbar machen, um ihm als Entscheidungsgrundlage dafür zu dienen, ob er die empfohlene Transaktion ausführen möchte.[70]
  • Ferner bewirkt die Eignungserklärung in Haftungsfällen eine Verbesserung der Beweislage. Durch die Dokumentation jener Umstände, die eine bestimmte Empfehlung begründet haben, läßt sich bei einer gerichtlichen Kontrolle besser feststellen, ob diese Empfehlung ex ante als geeignet betrachtet werden konnte. Dadurch können Ansprüche der vertretenen Person wegen Fehlberatung leichter durchgesetzt werden.[71]

In der Eignungserklärung ist zu begründen, warum die vom Wertpapierdienstleister empfohlene Transaktion

  • für die Realisierung des Ertragsziels unter Berücksichtigung des zeitlichen Anlagehorizont geeignet ist,
  • der Risikobereitschaft und der Verlusttragfähigkeit des Mündels entspricht und
  • so beschaffen ist, daß der gesetzliche Vertreter aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen die mit dem empfohlenen Geschäft einhergehenden Risiken verstehen kann.

Eignungserklärung: Floskeln sind keine Begründung!

Es sei nochmals betont, daß die Empfehlung inhaltlich zu begründen ist. Eine bloß floskelhafte Behauptung, daß die Empfehlung allen Anforderungen entspreche und daher geeignet sei, ist daher keine Eignungserklärung.[72] In der Praxis werden an Stelle von Eignungserklärungen häufig nur Floskeln übermittelt, die z.B. folgendermaßen lauten: „Das empfohlene Produkt ist aufgrund der vollständigen Übereinstimmung mit Ihren finanziellen Verhältnissen und unter Berücksichtigung Ihrer finanziellen Verlusttragfähigkeit, den Anlagezielen, Ihrer Risikotoleranz sowie Ihren Kenntnissen und Erfahrungen für Sie geeignet.“

Praxistipp

Wenn der gesetzliche Vertreter von einem Anlageberater anstatt einer Eignungserklärung nur eine solche floskelhafte Behauptung erhält, sollte er das empfohlene Geschäfte nicht durchführen und sich künftig an einen anderen Wertpapierdienstleister wenden.

Wann hat der gesetzliche Vertreter spätestens die Eignungserklärung zu erhalten?

Zur Rechtzeitigkeit für die Übermittlung der Eignungserklärung gilt, daß die Erklärung dem Kunden „vor Durchführung des Geschäfts“ zu übermitteln ist.[73] Diese Formulierung entspricht dem vom österreichischen Gesetzgeber weitgehend unverändert übernommenen Wortlaut der EU-Richtlinie.[74] In Hinblick auf das im deutschen und österreichischen Recht geltende Prinzip der Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft kann diese Formulierung irrtümlich so interpretiert werden, daß die Eignungserklärung erst vor dem Verfügungsgeschäft zu übermitteln sei und nicht – dem Normzweck entsprechend – bereits vor dem Verpflichtungsgeschäft.

Zur Vermeidung eines solchen Irrtums benutzt der deutsche Gesetzgeber anstatt der vorgenannten Formulierung die Worte „vor Vertragsschluss“.[75] Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stellt ergänzend klar, daß

  • sich die Formulierung „vor Vertragsschluss“ auf den schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrag zwischen anlageberatendem Wertpapierdienstleister und Kunde bezieht (z.B. Kommissionsvertrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag bei Anlage- oder Abschlussvermittlung),
  • ein auf der Anlageberatung beruhender Vertragsschluss erst erfolgen darf, nachdem die Eignungserklärung dem Kunden zur Verfügung gestellt wurde und
  • die Erklärung dem Kunden auch dann zu übermitteln ist, wenn kein Vertragsschluss zustande kommt, z.B. bei einer Halteempfehlung.[76]

Dem Autor ist zu dieser Frage keine Stellungnahme der FMA bekannt. Nach Auffassung des Autors ist jedoch aus folgenden Gründen davon auszugehen, dass die Rechtslage in Österreich jener in Deutschland entspricht:

  1. Der Normzweck von § 60 Abs 2 WAG liegt offensichtlich darin, dem Anleger bzw. dem gesetzlichen Vertreter ausreichend Zeit dafür zu geben, den Inhalt der Eignungserklärung in seine Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.[77] Diese Bestimmung wäre sinnentleert, wenn die Erklärung erst nach dem Vertragsschluss über das Ausführungsgeschäft übermittelt würde.
  2. § 60 Abs 2 WAG wird durch die Ausnahmebestimmung über die Verwendung eines Fernkommunikationsmittels in Abs 3 insofern konkretisiert, als der Gesetzgeber dort klarstellt, daß die Aushändigung der Erklärung im allgemeinen Fall vor Vertragsschluss zu erfolgen hat, nämlich bevor die Vereinbarung, ein Finanzinstrument zu kaufen oder zu verkaufen, geschlossen wird.
  3. Die Verpflichtung des Beraters zur Übermittlung einer Eignungserklärung besteht auch bei der Empfehlung, ein Wertpapier nicht zu verkaufen und kann daher nicht an die Bedingung geknüpft sein, daß zwischen Anleger und Berater ein Ausführungsgeschäft zustande kommt.

Es wird daher unzulässig sein, dem gesetzlichen Vertreter erst dann die Eignungserklärung zu übermitteln, nachdem er einen Auftrag zur Ausführung des empfohlenen Geschäfts erteilt hat.

Praxistipp

Gesetzliche Vertreter sollten eine Anlageempfehlung nicht umsetzen, bevor Sie die entsprechende Eignungserklärung erhalten haben. Wenn der Anlageberater die Eignungserklärung nur unter die Bedingung übermitteln möchte, daß der gesetzliche Vertreter mit ihm noch vorher das empfohlene Geschäft abschließt, sollte der Vertreter dieses Geschäft nicht durchführen und sich künftig an einen anderen Wertpapierdienstleister wenden.

Hoffentlich erwies sich der Inhalt dieser Seite für Sie als nützlich und beantwortete möglichst viele Ihrer Fragen. Wenn Sie weitere Fragen über die Anlegung von Mündelgeld haben, steht Ihnen der Autor Mag. Alexander Giuliani dafür als Sachverständiger und unabhängiger Vermögensberater zur Verfügung.

[65] § 95 Abs 1 Z 39 u. Z 43 WAG
[66] § 56 Abs 1 WAG iVm Art 54 Abs 2 u. Abs 4 bis 6 DelVO (EU) 2017/565.
[67] § 56 Abs 1 WAG iVm Art 54 Abs 2 u. Abs 12 DelVO (EU) 2017/565.
[68] Art 54 Abs 8 DelVO (EU) 2017/565.
[69] § 60 Abs 2 WAG iVm Art 54 Abs 12 DelVO (EU) 2017/565.
[70] Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG 2018, 2. Aufl, § 60 Rz 70.
[71] Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG 2018, 2. Aufl, § 60 Rz 71.
[72] ESMA 35-43-349, Chapter 2 „Suitability and appropriateness”, Question 10.
[73] § 60 Abs 2 WAG.
[74] Art 25 MiFID.
[75] § 64 Abs 4 WpHG.
[76] BaFin MaComp BT 7.2.2.
[77] Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG 2018, 2. Aufl, § 60 Rz 83; ESMA 35-43-349, Chapter 2 „Suitability and appropriateness”, Question 4.